Das Aufräumen ist, glaube ich, schon immer ein Streitpunkt in jeder Familie, unabhängig vom Alter des Kindes. Zum Wochenende wird die
gesamte Wohnung aufgeräumt und sauber gemacht, aber bereits 24 Stunden später ist davon nichts mehr zu sehen. Die Spielzeuge, die eben noch so schön geordnet im Regal standen, liegen wieder über den Fußboden verstreut.
Gerade bei einem Kleinkind ist es wichtig und ganz einfach, ihm ein Grundverständnis für Ordnung zu vermitteln und ihm zu zeigen, wie es den Überblick über seine Sachen behält. In meiner Kindertagespflege gehörte das Aufräumen zum Tagesablauf. Kurz bevor die Kinder abgeholt wurden, begannen wir, das Spielzeug gemeinsam aufzuräumen. Für die Kinder bestand die größte Herausforderung darin, bei der Sache zu bleiben. Indem sie ihre Spielsachen sortierten, widmeten sie ihnen wieder Aufmerksamkeit. Sofort entstanden neue Ideen, was man mit diesen Autos machen könnte, und mit welchen anderen Spielzeugen man sie kombinieren könnte.
Kinder haben keinerlei Zeitempfinden. Sie sind immer im Hier und Jetzt. Sie sind nicht so zielstrebig wie wir Erwachsenen. Für uns muss jedes Ding einen Anfang und ein Ende haben. Es gibt für alles ein Zeitfenster, und die nächste Aufgabe wartet schon. Kinder sehen diese Vielzahl an Aufgaben nicht. Sie konzentrieren sich genau auf das, was vor ihnen liegt, direkt vor ihrer Nase. So beneidenswert, wie diese Eigenschaft im Alltag auch ist, ist sie beim Aufräumen eher hinderlich und führt zu Konflikten.
Du möchtest das Kinderzimmer oder die Spielecke mal eben aufräumen, bevor ihr mit dem Abendritual beginnt?
Dein Kind sieht vor sich kein chaotisches Durcheinander an Spielzeug, sondern einen Ozean von Möglichkeiten. Jeder Handgriff könnte der Beginn eines neuen Abenteuers sein. Jedes Auto, jede Puppe, ein Stofftier oder ein Buch kann der Beginn eines tollen Spiels sein. Dieser Interessenkonflikt ist
es, der zu einem Streit ausarten kann.
Insbesondere, wenn dein Kind gelernt hat, dass Aufräumen Stress bedeutet, ist seine Motivation eher gering. Würdest du allein das Spielzeug aufräumen, wäre das in 5 Minuten erledigt. Aber dabei kann dein Kind nichts lernen.
Wenn du möchtest, dass dein Kind mit Leichtigkeit aufräumt, musst duvor allem zwei Dinge beachten:
- Mache ein regelmäßiges Ritual daraus, welches du konsequent einhältst.
- Mache ein Spiel daraus, das dem Entwicklungsstand deines Kindes entspricht.
Kinder machen prinzipiell alles gerne und mit Freude. Stress mögen sie nicht. Sie reagieren empfindlich darauf. Wenn du Stress mit dem Aufräumen, oder dem Chaos im Kinderzimmer hast, spürt das dein Kind. Es sieht, hört und fühlt, wie du dich dabei fühlst. Als Folge wird es das Aufräumen als negativ einstufen. Wenn du dann zu deinem Kind sagst: „Komm aufräumen”, ist die Motivation bei ihm / ihr ungefähr so hoch wie vor einem Kinderarzt-Termin. Es hat keine Lust, möchte sich nicht damit beschäftigen und sieht darin auch keinen Spaß. Gerade sensible Kinder sträuben sich dann dagegen, und weigern sich mitzumachen. Manche bemühen sich eher, noch mehr Chaos zu veranstalten, als aufzuräumen. Häufig kommt es dann zum Streit, der in einem Wutanfall enden kann. Wenn das geschieht, kannst du das Aufräumen vergessen.
Mach ein Spiel daraus
Kinder lernen durch spielen. Das Spiel ist ihr Mittel, um ihre Fähigkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln. Um deinem Kind ein natürliches Verständnis von Ordnung zu vermitteln, mach ein Spiel daraus. Orientiere dich dabei am Alter und Entwicklungsstand deines Kindes.
In meiner Kindertagespflege hing in der Mitte des Raumes eine große Nestschaukel. Dort warfen wir zunächst alle Spielsachen, alles wüst auf
einen Haufen, hinein. Das Spiel bestand darin, dass jedes Kind so schnell wie möglich, so viel wie möglich hineinwerfen sollte. Falls du keine Nestschaukel zu Hause hast, kannst du alle Sachen auf einen Haufen werfen. Je größer der Haufen, desto je besser. Danach haben wir jedes einzelne Spielzeug angeschaut und überlegt, wo es einen schönen Platz hat.
Kinder sind Nerds und wollen alles richtig machen. Bei der Suche nach dem richtigen Platz wird sich das Kind daran erinnern, wo dieses Spielzeug normalerweise steht und es genau an diesen Platz zurückstellen. Es wird keinen neuen Platz dafür suchen. Es sei denn, sein Gefühl sagt ihm, dass dieser Platz besser geeignet ist, um das Spielzeug immer im Auge zu behalten. Das ist eher die Ausnahme. Grundsätzlich wird es das Spielzeug an den gewohnten Platz zurückstellen. Immer, wenn ein Spielzeug weggeräumt ist, könnt ihr euch freuen: „Super, Nächstes. Oh, was haben wir da?”. Es kommt darauf an, dass das Kind ein Erfolgserlebnis hat.
Ist dein Kind kognitiv schon etwas weiterentwickelt, kannst du ihm vorschlagen, dass ihr jetzt alle Autos aus dem Spielzeughaufen sucht und einen Platz dafür findet; oder alle Bücher. Sei kreativ und lass dich von den Interessen deines Kindes inspirieren. Wenn du ein Kind hast, das gerne baut, kannst du die Lkws dafür nutzen, das Baumaterial wieder in die Kiste zu transportieren. Spielt dein Kind gerne mit Tieren oder Puppen, kannst du eben diese in ihr Nest oder ins Puppenhaus schicken, damit sie bis morgen gut schlafen können. Gib dem Vorgang einen Sinn, den dein Kind verstehen kann. Aufräumen ist dann keine lästige Tätigkeit, sondern etwas Schönes, weil alles an seinem Platz ist.
Kinder brauchen Sicherheit und den Überblick, was als Nächstes passiert. Das erreichst du durch Rituale und eine Regelmäßigkeit, die so sicher ist, wie Sonne und Mond
Das Aufräumen muss einen festen Platz in eurem Alltag haben. Nur so wird es für dein Kind selbstverständlich. Leider kommt im Alltag immer wieder etwas dazwischen: ein Anruf, eine Diskussion, ein wichtiger Termin, allgemeine Unlust oder eine kleine Katastrophe. Konsequentes Handeln ist häufig die größte Herausforderung, wenn du ein Ritual in den Alltag integrieren möchtest. Doch ist es wichtig, damit dein Kind das Aufräumen als selbstverständlich ansieht. Um es dir selbst zu erleichtern, ein neues Ritual in euren Tagesablauf einzubauen, solltest du zunächst einmal die Spielzeuge reduzieren.
In vielen Kinderzimmern sind die Regale voll davon. Es gibt einen ganzen Stofftier-Zoo, ein ganzes Regal mit Legosteinen und unendlich viele,
verschiedene Autos oder Puppen. Dein Kind kann unmöglich mit all diesen Dingen spielen; und will es auch gar nicht. Das Spiel eines Kleinkindes orientiert sich nach seinen momentanen Interessen und der Entwicklung, die es gerade macht. Sortiere daher das Spielzeug entsprechend und räume alles weg, was dein Kind momentan nicht interessiert. Ihr habt ein Basis-Sortiment, dass ihr immer zum Spielen braucht, wie z. B. Legosteine oder die Holzeisenbahn. Abgesehen davon bevorzugt jedes Kind in verschiedenen Phasen sein Lieblingsspielzeug.
Mit zwei Jahren spielen die meisten Kinder gerne in der Spielküche. Mit Backen, Braten und Kochen können sie sich dort stundenlang beschäftigen. Du musst literweise Kaffee trinken oder Nudeln essen, die mit viel Liebe zubereitet wurden. Ganz so wie in echt. Oder dein Kind arbeitet an der Werkbank und schraubt und sägt alles kurz und klein. Ganz so, wie es das am Wochenende bei Mama und Papa gesehen hat.
Wenn du siehst, womit sich dein Kind am liebsten beschäftigt, kannst du alle anderen Spielzeuge vorläufig wegräumen. Verpacke sie in Kisten und stell sie auf den Dachboden oder in den Keller. Nach ein paar Wochen wirst du die eine oder andere Kiste wieder brauchen. Dafür wandert etwas anderes auf den Speicher. Auch dabei hat dein Kind Spaß. Es ist spannend und wichtig, wenn die uninteressanten Sachen zur Seite geräumt werden und im Zimmer plötzlich richtig viel Platz zum Spielen ist. Außerdem erleichtert ein überschaubares Sortiment das kurzfristige Aufräumen. Dein Kind erwartet nicht, in einem Spielzeugladen zu schlafen. Es möchte sich mit dem beschäftigen, was ihn gerade interessiert. Gleichzeitig ist es so leichter möglich, dir einen Überblick verschaffen, wo dein Kind gerade in seiner Entwicklung steht. Auf diese Weise könnt ihr euch leicht auf eine bestimmte Fertigkeit
konzentrieren.
Es wird dir auch bei bester Organisation passieren, dass ein Kind einfach keine Lust hat aufzuräumen und sich dagegen wehrt
Es gibt einfach Tage, da helfen auch das schönste Spiel und das geduldigste Überreden nichts. Meiner Erfahrung nach ist das insbesondere bei sensiblen Kindern der Fall. Häufig geht es dann nicht um den Unwillen, aufzuräumen. Etwas anderes liegt dem Kind auf der Seele. Vielleicht hat es sich in der Kita gestritten oder es ist irgendetwas in der Familie vorgefallen. Vielleicht kann es etwas nicht verstehen, was es irgendwo aufgeschnappt hat.
Sollte dein Kind an dieser Stelle mit einem plötzlichen Wutanfall reagieren, bleib bei ihm und warte ab, bis es sich etwas beruhigt hat. Es kann sein, dass es mit Spielzeugen um sich wirft, dass es tobt und wütet, und du im Moment nicht weißt, was los ist. Bleibe an der Stelle vor allem ruhig! Achte darauf, dass dein Kind sich nicht verletzen kann. Beginnt es, mit Spielzeug um sich zu werfen, solltest du das aufgrund der Verletzungsgefahr allerdings unterbinden. In diesem Fall hielt ich das Kind an den Händen fest, suchte den Augenkontakt und erklärte ihm eindringlich, dass das nicht geht. Manchmal ist es dann in meine Arme gefallen und weinte seinen Frust aus, manchmal hat es sich wieder losgerissen und auf den Boden geworfen.
Wichtig ist, dass du bei ihm bleibst und wartest, bis der Wutanfall vorbei ist. Danach könnt ihr zusammen kuscheln und darüber reden, warum das Kind gerade so extrem reagiert hat. Nachdem ihr den Grund herausgefunden habt, ist es wichtig, dass du ihm ein positives Gefühl vermittelst. Vielleicht geht ihr dann, wie zuerst geplant, zum Aufräumen über und habt einen positiven Abschluss. Eventuell sucht ihr euch aber auch etwas aus, dass ihr jetzt gerne machen möchtet, wie eine Bude bauen und es euch gemütlich machen, oder mit Handpuppen spielen o. ä.
Damit dein Kind leichter über seine Gefühle sprechen kann, eignen sich Puppen und Stofftiere sehr gut
Es kann von seinem eigenen Ich-Bewusstsein Abstand gewinnen und die Situation aus der Position des Beobachters erzählen. Es kann beschreiben, wie es eine bestimmte Situation erlebt hat, ohne den damit verbundenen Schmerz zu spüren oder die Angst, es zu nah an sich heranzulassen. Auf diese Weise gelang es mir, viele Reaktionen eines Kindes zu verstehen, die ich ohne dieses Gespräch nicht herausgefunden hätte.
Ein Kleinkind besitzt noch nicht ausreichende Ausdrucksmöglichkeiten, um über seine Ängste oder Nöte sprechen zu können. Gleichzeitig befindet es sich in der Trotzphase / Autonomiephase in der intensivsten Entwicklung seines Lebens. Mit einem Spielzeug kann es gleichzeitig seine Identität mit einer Person verbinden und den Abstand halten, den es braucht, um darüber zu sprechen. Das gilt auch, wenn diese Person viel größer oder älter ist als das Kind. So könnt ihr spielerisch eine angsteinflößende Situation besprechen und auflösen. Im Anschluss könnt ihr euch wieder entspannt auf den weiteren Ablauf eures Alltags konzentrieren.
Auf diese Weise habe ich schon wunderbare Gespräche mit Kindern geführt und konnte einen schönen Einblick in ihre Seele erhalten. Ich hatte danach stets das Gefühl, dass sie unsere Beziehung gestärkt haben. Wir hatten mehr Vertrauen ineinander gefunden. Ich in das Kind, weil ich jetzt wusste, wie es sich gerade fühlt und warum. Das Kind, weil es mir etwas anvertrauen konnte, das ihm auf der Seele lag.
Es ist das Vertrauen zueinander, dass während der Autonomiephase / Trotzphase geschaffen wird. Dein Kind entwickelt sich zu einer Persönlichkeit, und ihr entwickelt euch zu einer echten Familie. Einerseits brauchst du viel Geduld und Einfühlungsvermögen, um zu erkennen, wie du in der jeweiligen Situation reagieren solltest. Andererseits muss dein Verhalten für dein Kind auch erkennbar und verständlich sein, damit es eine tiefe Beziehung zu dir bilden kann.
In meinem Bestseller „Trotzphase = Wachstumsphase“ erfährst du mehr über diese spannende Phase, und wie du in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf behältst. Eine Leseprobe habe ich dir auf dieser Seite, unter Mein Angebot, bereitgestellt.
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